Zwischen Betrieb und Berufsschule: Warum Lernende 8 Wochen Ferien fordern

Gepostet 21.07.2025, Bildung Schweiz

Viele Schweizer Lehrlinge empfinden ihre Ausbildung als belastend und erschöpfend. In einem offenen Brief an den Bundesrat fordern Lernende aus 15 Berufsfeldern die Anzahl Ferienwochen von fünf auf acht zu erhöhen. Ist das realistisch – oder zu viel verlangt?

Lernende absolvieren eine duale Ausbildung mit praktischer Arbeit im Betrieb, Unterricht an der Berufsschule und zusätzlichen überbetrieblichen Kursen. Foto: Pexels
Lernende absolvieren eine duale Ausbildung mit praktischer Arbeit im Betrieb, Unterricht an der Berufsschule und zusätzlichen überbetrieblichen Kursen. Foto: Pexels

Lernende in der Schweiz haben Anspruch auf mindestens fünf Wochen Ferien pro Jahr. Gleichzeitig wird von ihnen voller Einsatz erwartet: Sie arbeiten im Betrieb, besuchen an mehreren Tagen pro Woche die Berufsfachschule, absolvieren überbetriebliche Kurse und und lernen in ihrer Freizeit für Prüfungen oder arbeiten an Projekten. Für viele Lernende ist diese Doppelbelastung durch Arbeit und Schule Alltag.

Genau darum geht es in einem offenen Brief an den Bundesrat, welcher zurzeit landesweit Beachtung findet. Lernende aus 15 verschiedenen Berufsfeldern fordern, dass ihr Ferienanspruch auf acht Wochen pro Jahr erhöht wird. Unterstützt wird diese Petition unter anderem von Gewerkschaften, Jugendverbänden und zahlreichen Lehrpersonen. Doch was genau steckt hinter dieser Forderung und wie realistisch ist sie?

Was will die Petition erreichen?

Die Petition wurde von Lernenden lanciert. Sie wird von der Jugendkommission des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds (SGB) und der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft der Jugendverbände (SAJV) aufgegriffen und unterstützt. In dem offenen Brief an den Bundesrat wird konkret eine gesetzliche Anpassung gefordert: acht Wochen Ferien für alle Lernenden in der Schweiz – unabhängig vom Beruf oder der Branche.

Ziel ist es, damit ein Zeichen zu setzen: Die Berufslehre soll gestärkt, der Druck auf junge Menschen reduziert und ihre Arbeit als wertvoll anerkannt werden. Mehr Ferien seien ein wirksamer Schritt in diese Richtung.

Warum machen immer weniger Jugendliche eine Lehre?

Die Berufslehre ist ein zentrales Element des Schweizer Bildungssystems. Doch seit einigen Jahren sinkt das Interesse an diesem Weg. Immer mehr Jugendliche entscheiden sich für allgemeinbildende Schulen wie das Gymnasium oder Fachmittelschulen. Die Gründe dafür sind vielfältig: bessere Aufstiegschancen, gesellschaftliches Ansehen – und nicht zuletzt die Rahmenbedingungen. Während Lernende in der Lehre mit fünf Wochen Ferien auskommen müssen, profitieren Gymnasiastinnen und Gymnasiasten in vielen Kantonen von bis zu 14 schulfreien Wochen pro Jahr. Ein Ungleichgewicht, das auch in der aktuellen Debatte um eine Ferienverlängerung für Lernende thematisiert wird.

Gleichzeitig zeigen Umfragen, dass sich viele Lernende gestresst, ausgelaugt und überfordert fühlen. Eine Untersuchung der Gewerkschaft Unia aus dem Jahr 2024 ergab, dass über 50 % der befragten Lernenden unter dauerhaftem Stress leiden. Jede vierte Person bricht ihre Lehre vorzeitig ab. Als Gründe werden lange Arbeitstage, hoher Leistungsdruck und zu wenig Zeit zur Erholung genannt.

Die Kombination aus Arbeit und Schule belastet viele Jugendliche spürbar. Grafik: Unia.ch
Die Kombination aus Arbeit und Schule belastet viele Jugendliche spürbar. Grafik: Unia.ch

Argumente für 8 Wochen Ferien

Befürworterinnen und Befürworter sehen die zusätzliche Ferienzeit nicht als Luxus, sondern als dringend notwendige Massnahme, sowohl für die Gesundheit der Lernenden als auch zur Stärkung der Berufsbildung insgesamt:

  • Weniger Stress, bessere Gesundheit: Mehr Ferien bedeuten mehr Zeit zur Erholung. Das hilft, psychische Belastungen zu senken und Ausfälle zu verhindern.
  • Attraktivität der Lehre stärken: Ein gerechterer Ferienanspruch könnte helfen, wieder mehr Jugendliche für eine Lehre zu gewinnen.
  • Motivation fördern: Erholte Lernende sind engagierter und konzentrierter. Davon profitieren auch die Betriebe.
  • Gleichstellung mit anderen Bildungswegen: Wer arbeitet und gleichzeitig die Schule besucht, sollte nicht weniger Ferien haben als Vollzeitschüler und Vollzeitschülerinnen.
  • Als Referenz: In einzelnen Branchen oder Betrieben sind Ferienansprüche von mehr als fünf Wochen schon üblich.

Zudem zeigen Daten: Die Ausbildung von Lernenden bringt den Betrieben im Schnitt sogar einen finanziellen Nutzen von über 3’000 Franken pro Lehrjahr. Aus Sicht der Initiantinnen und Initianten ist es auch wirtschaftlich vertretbar, Lernenden mehr Ferien zuzugestehen.

Was dagegen spricht – und welche Fragen offen bleiben

Natürlich gibt es auch kritische Stimmen. Einige Ausbildungsbetriebe und Wirtschaftsvertreter sehen die Forderung skeptisch:

  • Planung und Organisation: Kleine Betriebe könnten Mühe haben, mit längeren Abwesenheiten der Lernenden umzugehen.
  • Druck auf die Ausbildungsqualität: Weniger Präsenzzeit könnte bedeuten, dass Inhalte im Betrieb weniger gründlich vermittelt werden können oder die Ausbildung verlängert werden müsste.
  • Einheitliche Lösung: Nicht alle Berufe sind gleich anspruchsvoll – braucht es wirklich eine pauschale Regelung für alle?
  • Arbeitsrechtliche Unterschiede: Lernende sind Angestellte und erhalten Lohn. Das unterscheidet sie juristisch von Schülerinnen und Schülern.

Ein weiterer Punkt, den Kritiker ansprechen: Statt einer flächendeckenden Ferienerhöhung könnte es sinnvoller sein, die Bedingungen innerhalb der Ausbildung zu verbessern. Beispielsweise durch bessere Betreuung, weniger Überstunden oder verbindlichere Qualitätsstandards in den Betrieben.

Viel Unterstützung, aber offene Fragen

Die Forderung nach acht Wochen Ferien hat eine wichtige Diskussion ausgelöst: Wie gut sind die aktuellen Rahmenbedingungen für junge Menschen in der Ausbildung? Entspricht das bestehende System noch den heutigen Anforderungen oder sind Anpassungen nötig?

Viele Jugendliche sprechen sich für bessere Bedingungen in der Lehre aus, wodurch das Thema zunehmend Aufmerksamkeit erhält. Wie die Politik darauf reagiert, ist noch unklar.

Quelle

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