«Der persönliche Kontakt mit den Mitstudierenden fehlt»

Gepostet 19.05.2020, Ronny Arnold

Das Coronavirus hat grosse Auswirkungen auf den Betrieb von Hochschulen. Innerhalb weniger Tage musste vom Präsenzunterricht auf ein komplettes Fernstudium umgestellt werden. Zwei Studierende erzählen uns von ihren neuen Herausforderungen. Jasmin Ziegler ist Studentin an der Universität Bern, sie absolviert den Master in Psychologie. Luca Tresch absolviert den Wirtschaftsingenieur/Innovation-Bachelor an der Hochschule Luzern.

Luca Tresch kann während dem Lockdown zu Hause die Lernzeiten für sein Studium selber einteilen.
Luca Tresch kann während dem Lockdown zu Hause die Lernzeiten für sein Studium selber einteilen.

Mitte März kam vom einen auf den anderen Tag der Lockdown an den Schulen. Wie haben eure Schulen den Unterricht umgestaltet?

Jasmin Ziegler: «Die Dozierenden wählen verschiedene Lösungen, je nachdem was gerade zum Fach am besten passt. So gibt es Podcasts zum selber lernen, Seminare als Videokonferenzen oder auch Mischformen aus beidem.»

Luca Tresch: «Auch bei uns ist dies je nach Modul unterschiedlich. In zwei Fächern hatten wir bereits vor der Corona-Pandemie "Flipped Classroom", das heisst, dass wir den Stoff digital selbst erarbeitet haben und im Unterricht dann dazu Fragen stellen konnten.  In den Fächern mit normalem Präsenzunterricht geht es von Lernvideos über Leseaufträge bis zu Online Vorlesungen.»

Wie funktioniert der Kontakt zu den Dozentinnen und Dozenten?

Jasmin Ziegler: «Die Kommunikation findet hauptsächlich über E-Mail statt. Ausserdem können wir Fragen zu den Modulen auf Ilias (Lernplattform) in ein Forum posten, welche von den Dozierenden beantwortet werden. Für eine Vorbesprechung eines Vortrags hatten wir mit einer Dozentin auch einen Skype-Termin.»

Luca Tresch: «Die Kommunikation funktioniert mehrheitlich gut. Dank der Digitalisierung ist dies auch nicht mehr so schwierig. Die Inputs der Dozenten werden mehrheitlich über Zoom-Meetings gemacht. Daneben gibt es auch bei uns den E-Mail-Kontakt.»

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Ihr beide habt ein Präsenzstudium gewählt. Nun ist alles digital. Was sind für euch die Nachteile?

Luca Tresch: «Ein grosser Nachteil ist der fehlende direkte Kontakt mit den Dozierenden und den Mitstudierenden. Dort gibt es einfach mehr Möglichkeiten und mehr Interaktion. Der Aufwand, Fragen per Mail zu stellen, ist für mich grösser, was mich dazu bewegt, einige Fragen den Dozierenden so nicht zu stellen. Und durch die Arbeit zu Hause ist die Ablenkung grösser, die Lernatmosphäre einer Hochschule fehlt in den eigenen Wänden.»

Jasmin Ziegler: «Da gibt es zwei Seiten. Einerseits die Technik, anfänglich war das Podcastsystem ständig überlastet und wir Studierende hatten oft keinen Zugriff, das hat sich aber inzwischen verbessert. Andererseits das Soziale, mir fehlt der Kontakt mit den anderen Studierenden, das hat man zu Hause halt einfach nicht.»

Gibt es auch Vorteile in dieser neuen Situation?

Luca Tresch: «Ein grosser Vorteil ist die individuelle Flexibilität. Ich kann dann arbeiten, wenn ich am produktivsten bin. Da ich an die Hochschule pendle, gibt es auch Zeitvorteile und ich spare Geld, was ich sonst für Verpflegung und Transportkosten brauche.»

Jasmin Ziegler: «Bei mir ist es ähnlich. Ich schätze es, dann zu lernen, wenn ich will. Ich muss nirgends zu einer bestimmten Zeit anwesend sein. Auch das Lerntempo ist individuell. So kann ich einige Podcasts schneller abspielen, weil ich die Themen schon gut kenne. Ausserdem kann ich nun direkt in den Trainerhosen mit der Uni starten.»

Wie erlebt ihr digitale Gruppenarbeiten?

Jasmin Ziegler: «Besprechungen führen wir über Skype, danach arbeiten wir gemeinsam über Google Docs zusammen. Ich glaube, dass es in echt manchmal einfacher wäre, sich abzusprechen. Gefühlsmässig finde ich aber, sind wir in etwa gleich speditiv wie vorher.»

Luca Tresch: «Gruppenarbeiten per se finden bei uns praktisch keine statt. Jedoch treffe ich mich regelmässig zur Besprechung von Aufgaben mit Kollegen meiner Studienrichtung. Die Produktivität ist sehr unterschiedlich, bei konkreten Fragen sind wir meist speditiv, sonst werden auch schon mal nicht schulische Themen diskutiert.»

Bei so vielen neuen Freiheiten stellt sich auch die Frage nach eurer Selbstdisziplin?

Jasmin Ziegler: «Ich habe Tage festgelegt, wo ich mir bewusst Zeit für die Uni nehme. Meistens versuche ich dann, die Dinge abzuarbeiten, die bei Präsenzunterricht zur jeweiligen Zeit stattfinden würden. Dies klappt aber nicht immer gleich gut. Die Ablenkung zu Hause ist halt gross, plötzlich mache ich lieber etwas im Haushalt. Respekt habe ich aber vor der anstehenden Lernphase, da ich aufgrund der Selbstdisziplin normalerweise in der Bibliothek lerne.

Luca Tresch: «Manchmal besser, manchmal weniger. Am Morgen und direkt nach dem Mittag brauche ich etwas, um Fahrt aufzunehmen. Vielfach arbeite ich dafür am Abend länger, da ich zu dieser Zeit am produktivsten bin. Grundsätzlich bin ich aber zufrieden mit meiner Selbstdisziplin. Aber auch bei mir ist die Ablenkung zu Hause teilweise nicht lernförderlich.»

Im Vergleich zum Präsenzunterricht: Lernst du mehr oder weniger?

Luca Tresch: «Ich denke eher weniger, obwohl mehr Unterlagen zur Verfügung gestellt werden. Die Inputs der Dozenten und auch der Mitstudierenden gehen digital etwas verloren. Gerade die sind für mich persönlich sonst ein wichtiger Lerneffekt.»

Jasmin Ziegler: «Bei mir ist es etwa gleich viel.»

Freust du dich wieder auf den Präsenzunterricht oder hat das Fernstudium für dich Zukunft?

Jasmin Ziegler: «Ich freue mich sehr auf den Präsenzunterricht, denn ich finde, zur Uni gehen ist nicht nur Stoff vermittelt zu bekommen, sondern auch der Austausch mit anderen Mitstudierenden, der zu Hause sehr fehlt.»

Luca Tresch: «Der Kontakt mit den Mitstudierenden und den Dozenten fehlt mir auch, auf dies freue ich mich wieder. Vermissen werde ich die Flexibilität. Für mich persönlich wäre darum eine Mischung zwischen Fernstudium und Präsenzunterricht in Zukunft das Beste.»

Vielen Dank für das Interview.

Kooperation Bildung-Schweiz.ch & 20 Minuten

Dieser Beitrag wurde von Bildung-Schweiz.ch in Zusammenarbeit mit 20 Minuten erstellt.

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