Künstliche Intelligenz: Assistenz oder Konkurrenz?

Gepostet 29.12.2023, Gastbeitrag Stadt Zürich Laufbahnzentrum (LBZ)

Künstliche Intelligenz (KI) verändert die Arbeitswelt. Sie führt jedoch kaum zu einem massiven Verlust an Arbeitsplätzen, sondern beeinflusst die Art und Weise, wie gearbeitet und gelernt wird. Vertiefte Einsichten zu einem aktuellen Thema.

Künstliche Intelligenz (KI) verändert die Arbeitswelt.
Künstliche Intelligenz (KI) verändert die Arbeitswelt.

Michèle Rosenheck, Direktorin des Laufbahnzentrums der Stadt Zürich im Interview mit Katja Lüthy über Chancen und Risiken für Berufstätige und was gute Weiterbildungen künftig ausmachen wird.

Frau Rosenheck, ist Künstliche Intelligenz (KI) bei den Kund*innen und Kunden der Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung bereits ein Thema?  

Ja, sogar häufig. Viele Jugendliche und Erwachsene bringen ihre von Chatbots erstellten Bewerbungsunterlagen mit. Die Unterlagen sind durchaus brauchbar, die Berufs-, Studien- und Laufbahnberaterinnen und -berater sowie Coaches unterstützen dann die Kundinnen und Kunden dabei, ihre Unterlagen zu individualisieren. Andererseits machen sich Berufstätige in Laufbahnberatungen oft Sorgen, ob es ihren Job in Zukunft noch gibt oder welche Weiterbildung angesichts von KI sinnvoll ist.

Welche Berufe sind besonders gefährdet? 

Dazu wurde ja bereits viel geschrieben. Offensichtlich ist, dass alle Berufe betroffen sein werden und – im Gegensatz zu früheren Digitalisierungswellen – jetzt auch hoch qualifizierte Tätigkeiten von KI konkurriert werden. Grundsätzlich bin ich optimistisch, dass wir diesen Übergang schaffen, weil wir Menschen kreativ und anpassungsfähig sind und es auf absehbare Zeit menschliche Arbeit brauchen wird. Aber ja: Alle Berufe wie auch Berufstätige werden ihr Profil anpassen müssen, Routinearbeiten in Handwerk und Büro sowie analytische Tätigkeiten werden wegfallen ...

… und welche Berufe profitieren?

Auch da geht es nicht um Berufe, sondern um eine Verschiebung von Profilen.   

Berufstätige arbeiten durch Ko-Kreation, also Kooperationen zwischen Mensch und KI, effizienter. Der menschliche Beitrag ist kritisches Denken, das Einordnen und Beurteilen von Information, Entscheidungsfähigkeit unter Berücksichtigung ethischer Aspekte, insbesondere auch in unvorhersehbaren Situationen.
Michèle Rosenheck (Foto: zvg.)

Auch Tätigkeitsfelder, die soziale Kompetenzen erfordern, sind auf der sicheren Seite, wie beispielsweise Einfühlungsvermögen, Kommunikations- und Konfliktfähigkeit, Orientierungs- und Sinngebung und die Fähigkeit, mit unterschiedlichen Menschen – und neu mit KI – zu kollaborieren.
Das heisst, alle, die die neuen Instrumente in ihrem Tätigkeitsbereich wirksam mit ihren Kompetenzen zu kombinieren wissen, sind gut gerüstet. Nicht zuletzt sind auch neue Berufe in Entstehung, etwa im KI-Management, in der Datenanalyse und der KI-Ethik und -Governance. Dort wird der Fachkräftemangel wohl besonders spürbar werden.

Was raten Ihre Berufs-, Studien-, Laufbahnberater*innen den Betroffenen?  

Interessant ist, dass die Berufs-, Studien- und Laufbahnberatenden ihren Kundinnen und Kunden keine neuen Empfehlungen zu geben brauchen: Es geht nach wie vor darum, sich selbst und die eigenen Interessen und Kompetenzen zu kennen, sich mit den Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt auseinanderzusetzen und bis zur Pension Lernfreude und -fähigkeit zu pflegen – wir nennen das aktive Laufbahngestaltung. 

Brauchen Geringqualifizierte und Personen mit Migrationshintergrund besondere Unterstützung?

Zu den bisherigen Grundkompetenzen kommt das Bedienen von KI im beruflichen Alltag hinzu – einige Menschen werden sicherlich Unterstützung dazu brauchen, ihre digitalen Kompetenzen zu stärken. Erst recht soll der Erwerb eines Berufsabschlusses gefördert werden. Er dient als unumgängliche Basis für die berufliche Weiterentwicklung. Ich denke, es braucht begleitende Massnahmen, weil der Wandel im Arbeitsmarkt sehr schnell erfolgt. Um höhere Arbeitslosenzahlen – besonders bei Geringqualifizierten und gleichzeitigem Fachkräftemangel – zu verhindern, sind Politik, Arbeitgebende, Arbeitnehmende und vor allem das Bildungswesen gefordert. Die Stadt Zürich ist hier mit der Einführung von Arbeitsmarktstipendien vorangegangen.

Welchen Rat geben Sie Jugendlichen, die vor der Berufswahl stehen?

Die Halbwertszeit von Wissen und Qualifikationen verkürzt sich noch schneller als bisher. Das heisst, dass der Einstieg in die Berufswelt daher als erster Schritt in eine lebenslange berufliche Entwicklung zu verstehen ist. Wo und wie dieser stattfindet, spielt aus dieser Perspektive eine untergeordnete Rolle. Deshalb empfehlen wir den Jugendlichen: Knüpfe an deine Interessen an und suche ein Umfeld, in dem du dich wohlfühlst. Wir stellen fest, dass das oft entscheidender ist, als den «richtigen» Beruf gewählt zu haben. Wenn Interessen und Umfeld stimmen, ist das eine gute Basis für Lernbereitschaft, die Freude am Lernen und die weitere Entwicklung.

Wird die Digitalisierung durch KI-Systeme auch bei der persönlichen Beratung eine Rolle spielen?

Ich gehe davon aus, dass sich die Zusammenarbeit zwischen Mensch und KI auch in der Beratung rasch etablieren wird.
Michèle Rosenheck

Bereits heute ist Chat-GPT gut darin, Alternativen aufzuzeigen, Entscheidungen zu unterstützen oder Anregungen zu geben. Ich bin aber davon überzeugt, dass sich der Mensch als soziales Wesen für tiefgreifende und anspruchsvolle Fragestellungen immer ein Gegenüber wünscht, das ihn als Individuum in einer spezifischen Situation wahrnimmt, ihm mit Mitgefühl begegnet und ihn in anspruchsvollen Prozessen verlässlich und orientierungsgebend begleitet.

Und umgekehrt gefragt: Nutzen Ihre Berufs-, Studien-, Laufbahnberater*innen schon Künstliche Intelligenz? 

Auf jeden Fall! Chatbots wie Chat-GPT werden als persönliches Arbeitsinstrument genutzt, etwa als Assistenz beim Verfassen von E-Mails und Texten oder fürs Brainstorming. Innert Kürze ist KI zudem beim Recherchieren von Informationen unentbehrlich geworden. Auch in der Beratung wird KI als Instrument eingesetzt, selbstverständlich gemäss Datenschutzgesetz.

Laufbahnzentrum der Stadt Zürich (LBZ)

Das Laufbahnzentrum der Stadt Zürich (LBZ) ist mit rund 120 Mitarbeitenden eines  der grössten Kompetenzzentren für Berufs- und Laufbahnfragen in der Schweiz. Wir unterstützen die Stadtzürcher Bevölkerung in der Gestaltung ihrer Laufbahn: bei Berufswahl und Berufseinstieg, bei Erhalt und Stärkung der Arbeitsmarktfähigkeit und bei beruflicher Neuorientierung.

 

Chatbots eignen sich auch gut zum individuellen Weiterbilden. Gehören von Dozierenden geführte Kurse bald der Vergangenheit an?

Chatbots eignen sich gut als persönliche Assistenten. Sie stehen Lernenden jederzeit zur Verfügung, kennen deren Präferenzen und wissen, wo und wie sie sie abholen müssen, damit sie gut und gern lernen. Sie zeigen auf, welche Lücken Lernende in ihrem Anforderungsprofil schliessen sollten oder welche Fähigkeiten es für das interne Stellenprofil oder eine Ausschreibung braucht. Und die passenden Lerninhalte sowie Lehrmittel, Videos, Austausch in Foren, Einladungen zu Anlässen liefern Chatbots gleich mit. Ich bin aber auch davon überzeugt, dass es weiter Dozierende – oder besser: Lernbegleiter und Lernbegleiterinnen – braucht. Nicht die Vermittlung von Inhalten, sondern Beziehungsarbeit, das Begleiten von Lernprozessen und die Gestaltung einer effektiven Zusammenarbeit stehen im Mittelpunkt.
Ein Beruf, der sich enorm wandeln wird, ist der Lehrberuf. Wenn das Aufbereiten von Inhalten, das Dozieren und Korrigieren weitgehend wegfallen, können sich Lehrende auf das fokussieren, wofür sie ursprünglich ihren Beruf gewählt haben: die Begleitung von Menschen in individuellen und gemeinsamen Entwicklungsprozessen.

Beeinflussen diese Aspekte auch die Weiterbildungen selbst?

Gute Weiterbildungen werden sich auszeichnen durch ein klug ineinander verschränktes Zusammenspiel von selbstverantwortetem Aneignen von Inhalten auf individualisierten Lernpfaden, die vom Chatbot erstellt werden sowie Online- und Präsenzkollaborationen mit Menschen, die in wechselnden Rollen als Lehrende, Lernende oder Feedback-Gebende auftreten. Aber auch als Erlebnisse gestaltete Anlässe mit Gesprächen, gemeinsamem Reflektieren und Teilen von Erfahrungen. Solche Erlebnisse motivieren Lernende und regen den Lernprozess an. Und: Lernen ist durch das Austauschen und Reflektieren auch ein sozialer Prozess. Das muss gut moderiert werden. Grundsätzlich bin ich überzeugt, dass wir sowohl als Lehrende wie auch Lernende unser Lernverständnis überdenken müssen – wir lernen weitgehend noch wie im Industriezeitalter. Ausgangspunkt für ein neues Lernen ist die Haltung, Fehler zuzulassen und aus ihnen zu lernen, statt sie krampfhaft zu vermeiden, wie dies viele von uns in ihrer eigenen Schulzeit erfahren haben. Anstelle von «Das kann ich nicht», tritt «Das kann ich noch nicht», das sogenannte Growth Mindset. Das ermöglicht mir, mich auf Neues einzulassen – und gerade dies wird sich in einer Arbeitswelt im Umbruch als wertvolle Fähigkeit erweisen.

Dieser Artikel wurde uns freundlicherweise von Tamedia AG zur Verfügung gestellt.

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