Microlearning – Sinnvolles Lernen als Prozess

Gepostet 26.09.2023, getAbstract

Die immer knapper werdende Zeit in Kombination mit dem gestiegenen Druck auf den Einzelnen, sich weiterzubilden, stellt die Vermittler von anwendbarem Wissen vor besondere Herausforderungen. Die Integration von Microlearning-Kursen in den Arbeitsalltag kann ein Teil der Antwort sein, erklärt Jana Eicher von getAbstract.

Microlearning - Sinnvolles Lernen als Prozess. Foto: Fotolia
Microlearning - Sinnvolles Lernen als Prozess. Foto: Fotolia

Jana, Microlearning ist seit Jahren ein entscheidender Trend im L&D-Bereich. Kannst du kurz erklären, was Microlearning genau ist und wie es in Unternehmen eingesetzt wird?

Microlearning ist ein Ansatz, bei dem den Lernenden mundgerechte Wissensbrocken vermittelt werden – im Idealfall genau dann, wenn das Wissen gebraucht wird. Microlearning muss sich dabei ständig weiter entwickeln, um Mitarbeitenden das Wissen zu vermitteln, das sie benötigen. Ziel ist es, den Unternehmenserfolg positiv zu beeinflussen.

Was sind einige gängige Beispiele für Microlearning-Assets, die Unternehmen verwenden könnten?

Kurze Erklärvideos oder Arbeitshilfen in Form von Infografiken sind ziemlich weit verbreitet. Jeder, der sich schon mal ein kurzes How-to-Video auf YouTube angesehen hat, hat informelles Microlearning betrieben.

Wie lang sollte eine Mikro-Lerneinheit idealerweise sein?

Hierzu gehen die Meinungen auseinander. Die einen sagen nicht mehr als drei Minuten – andere 20 Minuten. Aus der Neurowissenschaft wissen wir, dass unsere Aufmerksamkeit beim Lernen meist nach 20 bis 25 Minuten abnimmt. Das sollte also wirklich die maximale Dauer sein. So oder so:

Eine Mikro-Lerneinheit konzentriert sich in der Regel auf ein einziges Lernziel oder ein einziges Unterthema.
Jana Eicher

Was macht dieses Format für das Lernen nützlich?

Aus neurowissenschaftlicher Sicht erhöht eine kurze, pointierte Lerneinheit die Wahrscheinlichkeit, dass das Wissen haftenbleibt. Unser Gehirn ist, grob gesagt, nicht dafür ausgelegt, grosse Mengen komplexer Informationen auf einmal aufzunehmen. Deshalb ist Pauken in solchen Fällen oft ineffektiv und führt bestenfalls zu kurzfristigem Wissenserhalt.

Was sind die häufigsten Missverständnisse zum Thema Microlearning?

Das ist erstens der Irrglaube, dass Microlearning für alle Wissensbereiche geeignet ist. Das ist definitiv nicht der Fall. So lassen sich etwa fortgeschrittene Maschinenbaukenntnisse nicht mit einem fünfminütigen Erklärvideo vermitteln. Das ist unrealistisch. Microlearning lässt sich aber in diesem Fall durchaus als Teil einer umfassenderen Lehr- und Lernstrategie verwenden – zum Beispiel, um wichtige Konzepte zu rekapitulieren oder sogenannte „spaced repetition“, sprich die Wiederholung des Gelernten in bestimmten Abständen zu ermöglichen. Zweitens, dass sich Mikro-Lerneinheiten einfach durch das Aufbrechen längerer Lerninhalte erstellen lassen – zum Beispiel einer 60-minütigen Videolektion in zwölf fünfminütige Lektionen. Dies geht am Sinn des Mikrolernens vorbei. Die Dauer der Lektion ist nur ein Faktor unter vielen.

Welche Elemente einer Microlearning-Einheit sind aus Sicht der Hirnforschung denn unverzichtbar?

Weitgehend einig ist sich die Lernwissenschaft seit langem darüber, dass Lerninhalte zeitlich gestaffelt wiederholt werden sollten, dass Lernende sich einem Thema von verschiedenen Seiten nähern sollten, sowie dass sie sich die Mühe machen sollten, Gelerntes ohne Hilfe aus dem Gedächtnis abzurufen. Letzteres ist besonders wichtig für die Verankerung von Wissen im Langzeitgedächtnis. Mir hilft das AGES-Modell beim Gestalten gehirngerechter Lernerfahrungen: Erstens gilt es, Aufmerksamkeit zu fördern, indem Ablenkung minimiert wird. Zweitens muss ich Lernenden die Möglichkeit geben, neues Wissen in Verbindung mit vorhandenem Wissen zu generieren. Dann spielen auch Emotionen eine überraschend grosse Rolle: Echtes Lernen strengt an, kann sogar frustrieren. Es braucht also eine positive Antriebskraft, um Motivation und Schwung aufrechtzuerhalten. Und schliesslich hilft, wie bereits erwähnt, das Spacing, also zeitlicher Abstand, bei der Wissensspeicherung. Sinnvolles Lernen – auch Microlearning – ist keine einmalige Sache. Es ist ein Prozess.

Was ist deiner Meinung nach die beste Lektüre zum Thema Microlearning?

Meine persönlichen Favoriten, die mir auch bei der Entwicklung der Actionables von getAbstract geholfen haben, sind Microlearning Short and Sweet und Make It Stick.

Warum hat getAbstract beschlossen, in den Bereich des Mikrolernens einzusteigen?

Bei getAbstract ging es schon immer darum, relevantes Wissen aus Büchern, Artikeln, Videos oder Podcasts – zusammengefasst und verständlich gemacht – „at the point of need“ zur Verfügung zu stellen. Auf die so entstandene, riesige Sammlung zusammengefassten Wissens aufbauend gehen wir nun einen Schritt weiter und verwandeln unsere Inhalte in zielgerichtete und umsetzungsorientierte Lernerfahrungen – ebenso zeitsparend, leicht verständlich und zugänglich wie alles von getAbstract. Wir haben die Actionables so konzipiert, dass sie nicht nur Wissen vermitteln, sondern den Lernenden auch helfen, das Wissen anzuwenden und über ihre Anwendungserfahrungen zu reflektieren. Getreu unserem Motto: Know Better. Do Better.

Dein Team erforschte zwei Jahre lang die Bedürfnisse der Kunden in puncto Microlearning. Welche Muster zeigten sich dabei?

Wir haben einige wichtige Probleme zutage gefördert. Erstens: Mitarbeitende in Firmen sind extrem beschäftigt. Entsprechend schwer fällt es ihnen, Zeit zum Lernen zu finden. Das ist ein Problem, besonders in der Wissensbranche, da sich hier die Anforderungen so rasant wandeln. Also müssen Mitarbeitende, um auf dem neuesten Stand und damit wettbewerbsfähig zu bleiben, ständig weiter lernen und sich weiter entwickeln. Führungskräfte und L&D-Verantwortliche wiederum sind darin interessiert, dass Mitarbeitende Wissenslücken effizient schliessen, und in ihrem Job glänzen. Onlinekurse gibt es zwar wie Sand am Meer, aber nur wenige Menschen können es sich leisten, nebenbei Stunden, Tage oder Wochen ins Lernen zu investieren.

Zeiteffizienz ist also ein wichtiger Aspekt beim Lernen am Arbeitsplatz.
Jana Eicher

Haben Sie weitere Probleme festgestellt?

Ja. Mitarbeitende wollen im Arbeitsfluss lernen – sprich, nicht immer wieder eine Aufgabe liegenlassen müssen, um relevante Wissenslücken zu schliessen. Womöglich muss jemand morgen eine Präsentation abhalten und braucht dringend Tipps zum Thema Körpersprache – und zwar sofort, ohne die aktuelle Aufgabe zu vernachlässigen, und nicht erst nächsten Monat in Form eines umfassenden, 10-stündigen Rhetorikkurses.

Worauf achten Entscheidungsträger und L&D-Verantwortliche in puncto Lernen am Arbeitsplatz?

Aus Perspektive des Managements muss Lernen am Arbeitsplatz zu einer messbaren Verhaltensänderung führen. Die Aneignung von Wissen ist in diesem Sinne nutzlos, so lange das Wissen nicht am Arbeitsplatz angewendet wird und sich messbar positiv auf die Geschäftsergebnisse auswirkt. Deshalb wollten wir von Anfang an ein Lernprodukt entwickeln, das nicht einfach nur „verkleidete Unterhaltung“ ist – sprich, eine Art Beschäftigungstherapie. Ziel war, das Wissen aus unseren Zusammenfassungen in zeitsparende und vor allem hocheffektive Lernerfahrungen zu verwandeln, die schnelles und messbares berufliches Wachstum ermöglichen.

Du hast während der Entwicklung des Prototyps für die Actionables kontinuierlich Kundenfeedback gesammelt. Welche Rückmeldungen gab es, die das Design der Actionables beeinflusst haben?

Bei der Entwicklung haben wir einen stark produkt- und datenorientierten Ansatz verfolgt. Als wir die ersten Prototypen entwickelten, versuchten wir herauszufinden, wie wir unser Versprechen der Zeitersparnis einhalten und gleichzeitig genügend Tiefe bei den Inhalten bieten konnten. Tiefe und Anwendbarkeit waren Themen, die in den Rückmeldungen sehr häufig auftauchten – unsere Pilotnutzer waren sich einig, dass sie keine oberflächlichen oder zu allgemein gehaltenen Inhalte wollten. Ebenso wollten sie knifflige Quizfragen, die ihnen etwas abverlangten. Dem haben wir also schon sehr früh Priorität eingeräumt.

Actionables legen grossen Wert auf die Anwendung von Wissen.
Jana Eicher

Wie motiviert ihr Lernende, das Gelernte in die Praxis umzusetzen?

Die Actionables sind nach der aus der Lernwissenschaft bekannten „Know-Do-Reflect“-Schleife strukturiert. Auf einen 15-minütigen Mikrokurs – „Know“ – folgt ein Call-to-Action – „Do“ -, der Lernende mit einer praktischen Aufgabe herausfordert, anhand derer sie ihr Wissen in die Tat umsetzen können. Schliesslich erhalten sie Gelegenheit, über ihre Erfahrung bei der Umsetzung zu reflektieren – „Reflect“. Was hat gut geklappt? Was nicht so gut? Und was könnte beim nächsten Mal verbessert werden? So werden Lernende ermutigt, ihre Fähigkeiten auch nach Abschluss des Actionables weiter zu üben und zu verfeinern.

Dein Team hat die Actionables vor sechs Monaten präsentiert. Welche Erfahrungen habt ihr damit bisher gemacht? Gab es irgendwelche Überraschungen in Bezug auf das Verhalten der Lernenden?

Bisher hat es tatsächlich keine grossen Überraschungen gegeben. Derzeit finde ich es sehr interessant, das Nutzerverhalten detaillierterer zu beobachten – natürlich anonymisiert – und sowohl unsere Lerninhalte als auch das Nutzererlebnis auf der Grundlage dieser Daten zu verfeinern. Wir stellen Fragen wie: Wo brechen Nutzer besonders oft ab? Welche Qualität hat der Input, den die Lernenden während des Reflexionsschritts geben? Aus den Daten entwickeln wir Hypothesen und versuchen, Lösungen zu finden. Das ist oft ernüchternd, denn Daten lügen nicht – aber so mögen wir es.

Werdet ihr die Actionables weiter ausbauen?

Ja. Branche, Technologie, Nutzerbedürfnisse, Lernwissenschaft und Best Practices entwickeln sich rasant. Die Einführung von ChatGPT und die darauf folgende Explosion generativer KI-Tools auf dem Markt sind ein gutes Beispiel dafür. Die Produktentwicklung ist für uns ein fortlaufender Prozess, und in erster Linie identifizieren wir dazu die Probleme unserer Kunden und leiten daraus produktorientierte Lösungen ab – nicht umgekehrt. Aus diesem Grund sind Daten so wichtig.

Was steht für die Actionables in naher Zukunft an?

Wir wollen uns jetzt auf die einzelnen, in den Actionables gebündelten Tools konzentrieren, etwa auf unseren von Experten geleiteten „Power Talk“ oder unseren chatbasierten Virtual Guide, der Lernenden hilft, das Gelernte auf ihr eigenes Leben anzuwenden. Bei diesen Tools handelt es sich um sorgfältig konzipierte Microlearning-Assets, die sich gegenseitig ergänzen und das Lernerlebnis insgesamt vertiefen. Wir haben bereits einige solide MVP-Versionen zusammengestellt und werden diese bei Bedarf weiter verbessern. Natürlich vertrauen wir auch hier produkt- und datengesteuerten Ansätzen, um sicherzustellen, dass unsere Tools halten, was sie versprechen.

Dieser Artikel wurde uns freundlicherweise von getAbstract (Sara Küpfer) zur Verfügung gestellt.

 

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